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Kritik an Feuerbachs Religionskritik
#1
Hey,

ich würde gerne mal von den Philosophen unter euch wissen inwiefern Feuerbachs Religionskritik gerechtfertigt ist oder nicht.
Um mal eine kurze Zusammenfassung zu geben:

Feuerbach meint Gott sei eine Projektion des Menschen. Geschaffen von ihm selbst und mit allen Vollkommenheiten ausgestattet, nach denen sich der Mensch selbst sehnt. Religion ist daher laut Feuerbach eine Entfremdung des Menschen von sich selbst, da er sich nicht mit sich selbst beschäftigt sondern seine Wünsche (z.B. nach Vollkommenheit oder Unsterblichkeit) in Gott projeziert. Statt einer Menschwerdung Gottes fordert er daher eine Gottwerdung des Menschen in dem dieser sich von der Religion löst und sich selbst Gott ist.
Weiterhin meint er, das Abhängigkeitsgefühl des Menschen sei der Grund für Religion. Und das der religiöse Mensch weniger direkt liebt, da er schon davon ausgeht, dass die Vollkommenheit darin nicht zu erreichen ist. Der nicht-gläubige Mensch sei daher nach Feuerbach moralischer, da er seine ganze Liebe unmittelbar auf den Menschen richtet (und nicht auf einen Gott).
Mit anderen Worten: Der Mensch leidet daran, das er nicht das ist, was er gerne wäre - deshalb erfindet er Gott. Gott ist eine Projektion seiner Sehnsüchte und Wünsche. Alles, was der Mensch in sich an Positivem entdeckt, schreibt er Gott zu - dem Menschen bleibt nur der negative Teil.

Ich finde diese Überlegungen sind durchaus verständlich und auch einleuchtend.
Aber beweist die Sehnsucht nach einem Gott dessen Nichtexistenz?
Theologen argumentieren dass diese Entsprechung zwischen Sehnsucht des Menschen und der Erfüllung durch einen Gott durch das Geschaffensein des Menschen auf Gott hin erklärbar ist.
Und kann man sagen dass nicht-gläubige moralischer sind? Fördert nicht die Religion auch moralische Gedanken?
Und geht Feuerbach bei seinen Überlegungen nicht eigentlich schon von der Nichtexistenz Gottes aus ohne aus einer neutralen Stellung heraus zu argumentieren?

Es sei vieleicht noch anzumerken, dass viele Menschen der Meinung waren/sind Feuerbach habe Gott widerlegt.

Was meint ihr dazu?
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#2
Zuerst einmal, ich kenne Feuerbach nicht, ich müsste überhaupt erst die Wikipedia oder andere Quellen bemühen um zu erfahren in welchem Jahrhundert er überhaupt gelebt hat, insofern ist alles was ich hier sage meine Ansicht zu Deiner Zusammenfassung die ich nur als akkurat annehmen kann da ich es selbst nicht einzuschätzen vermag.


Wenn Menschen behaupten jemand oder etwas habe Gott widerlegt dann ist das genauso naiv wie wenn sie glauben die Schönheit der Natur oder das Argument von der ersten Ursache habe seine Existenz bewiesen. Logik, Wissenschaft oder Vernunft kann Gott nicht beweisen oder widerlegen. Er interessiert sie nicht einmal. Nur der spirituelle Mensch interessiert sich dafür, und die interessante Frage ist "Warum sind wir spirituell?", und nicht "Gibt es einen Gott?".

Genausowenig wie es eine wirklich neutrale oder objektive Stellung oder Meinung gibt. Erst wenn man sich seine Subjektivität oder die von anderen bewußt macht kann man sie teilweise ausgleichen, wirklich neutral wird man aber nie sein.
Es klingt für mich sehr einleuchtend daß Gott eine Projektion des Menschen sein soll, aber vielleicht greift diese Erklärung(oder Deine Zusammenfassung) zu kurz. Es gibt durchaus Menschen die in Gott keinen vollkommenen "Menschen" sehen, auch wenn sie eher die Ausnahme sind und ihr Gottesbild eher durch die Ratio beschränkt wurde, in dem sie immer mehr und mehr wußten was sie nicht wissen konnten. Aber in gewisser Weise stimmt das vielleicht und liefert einen Erklärungsansatz für den "natürlichen" Wunsch des Menschen Gott nicht nur eine Schöpferrolle sondern auch Allmacht, Allwissen, das absolut Gute und ähnliche contradictio in adiectio anzuheften, die ein uns inhärentes Sehnen nach Perfektion ausdrücken könnten.

Bei der Rolle die Gott und der Mensch in unserem Weltbild spielen rennt Feuerbach bei mir sowieso offene Türen ein, ich bin schon lange der Ansicht daß der Mensch, und damit sind alle Menschen und weniger man selbst gemeint, die höchste Stelle in unserem Streben einnehmen sollte. Gott braucht den Platz in den Herzen von vielen Gläubigen nicht, er verdient ihn nicht. Die Menschen -oder vielmehr ihr Glück und ihr Potential- bräuchten und verdienen ihn.


Die Frage der Moral halte ich für ebenso heikel. Das atheistische Menschen automatisch die moralischeren wären ist sicher so nicht richtig, genausowenig wie es richtig ist zu behaupten ohne Gott könne es keine Moral oder zumindest kein anständiges Fundament für sie geben. Was stimmt ist das Atheisten einem möglichen schlechten Einfluß weniger ausgesetzt sind als andere Menschen, und ausserdem gibt schon die relative Minderheit der Atheisten uns die Gelegenheit uns die geringere Anzahl an schlechten Menschen anzurechnen.
Was meiner Ansicht nach sicher richtig ist ist daß religiöse Menschen dazu neigen Gott wichtiger zu nehmen als die Menschen, auch wenn sie in ihrer Rangfolge je nach Gläubigem mehr oder weniger nah bei ihm stehen mögen.
Das liegt uns Menschen scheinbar im Blut, wir sind hierarchische Herdentiere wenn mans salopp und vereinfacht ausdrücken will. Und wenn ein Gott, dem man eine Agenda und eine bestimmte Moral unterlegt, an die Stelle der Hierarchie setzt die eigentlich die Menschen einnehmen sollten dann ist es sicher sehr gefährlich für uns, denn dann sind Unterdrückung und Grausamkeiten für Gott nicht mehr sehr weit entfernt.
Aber sich selbst an diese Stelle zu setzen ist sicher nicht minder gefährlich, wenn auch weit weniger virulent. Wer interessiert sich schon für einen rücksichtslosen Egozentriker ausser ihm selbst.
Insofern ist die Frage nach der Moral vielleicht zuerst eine der Persönlichkeit, eine Frage von Altruismus gegen Egoismus.
Aber wie alle Erfahrungen und Überzeugungen kann auch die Religion und der Glaube Einfluß auf uns ausüben und unsere Persönlichkeit betonen oder marginalisieren, und da haben Glaube und vor allem Religion mit ihren Vorschriften und Idealen sicherlich mächtige Werkzeuge zur Hand, vor allem wenn sie früh anfangen zu arbeiten.

Ich halte Menschen, auch mich, sowieso nicht für so unverbrüchlich wie das die meisten Menschen gerne tun. Man hört immer wieder Sätze oder Andeutungen die darauf schließen lassen daß viele ernsthaft glauben ihr (guter) Charakter und ihre Persönlichkeit wären irgendwie alleine, oder zumindest zu einem überwältigenden Teil, ihr Verdienst oder ihrer Kontrolle unterworfen. Ich denke man sollte da sehr vorsichtig sein.
Ich glaube daß meine angeborene Persönlichkeit lediglich die Richtung vorgab in die ich losmarschiert bin und meine Entscheidungen im Leben ein wenig beeinflußt hat. Aber genauso, und ich fürchte mehr als wir wahrhaben wollen, spielt unsere Umgebung eine Rolle. Unsere Eltern, die Menschen die wir treffen und die Welt die wir drumherum vorfinden haben einen maßgeblichen Einfluß auf uns. Ich frage mich hin und wieder was mit mir geschehen wäre wenn dieses oder jenes in meinem Leben anders gelaufen wäre, wenn ich in einem anderen Jahrhundert oder in einer anderen Familie geboren worden wäre. Wer wäre ich geworden? Wenn man sieht wie ein Mensch nach einem Unfall oder bei einer Krankheit die sein Gehirn schwer beschädigt hat als jemand anderes wieder aufwacht wird man doch stutzig. Ich denke wir nehmen uns in der Beziehung wie in den meisten anderen viel zu wichtig.

Auch denke ich der Ansatz daß der Mensch Gott erfände um sein Leid an der Differenz zwischen dem was er sein könnte und dem was er ist in etwas positives zu verwandeln zwar interessant ist aber sicher nicht alles erklären kann. Jeder Mensch leidet darunter was er nicht ist, manche mehr und andere weniger. Das Mädchen das gerne hübsch wäre, der Mann der gerne erfolgreicher und klüger wäre, undundund. Manche, und ich spreche hier durchaus aus Erfahrung, kann diese Kluft niederdrücken. Aber sie erfinden trotzdem keinen Gott, vielleicht lehnten sie ihn schon ab bevor sie ihre Mängel als immer bohrender empfanden, oder vielleicht hat es ganz einfach nicht notwendigerweise etwas damit zu tun.

Ich bezweifle daß wir so simpel gestrickt sind.
Und vor allem bezweifle ich daß etwas das wir erfahren oder denken oder fühlen können einen Hinweis für oder gegen Gott sein kann.
Ich denke es ist immer nur ein Hinweis für etwas in uns oder um uns herum. Eine Rose ist...
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#3
Hallo Hikikomori,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich werde mal versuchen einige Punkte aufzugreifen.
Du verweist auf die unterschiedlichen Fragen "Warum sind wir spirituell?" und "Gibt es einen Gott?". Genau hier sehe ich das eigentliche Problem Feuerbachs. Die Frage ob es einen Gott gibt wird von ihm eigentlich gar nicht gestellt. Er geht von seiner Nichtexistenz aus um darauf aufbauend zu fragen "Warum schaffen wir uns einen Gott?". Ich denke wenn wir von der Nichtexistenz Gottes ausgehen, sind diese Überlegungen durchaus sinnvoll. Würden wir aber von der Existenz Gottes ausgehen wären sie seltsam.

Du meinst Feuerbach rennt bei dir offene Türen ein, dass der Mensch dem Menschen selbst näher sein sollte Gott. Wenn ich mir aber unsere Welt anschaue habe ich nicht das Gefühl dass Atheisten menschlicher wären oder ein besseres Verhältnis zu anderen Menschen hätten. Aber sehr häufig kann ich sehen, dass Menschen aus religiösen Motiven heraus sich für andere aufopfern und dem Menschen viel näher sind als andere (bestes Beispiel Mutter Theresa) Natürlich ist das auch bei Atheisten der Fall. Ich denke daher Feuerbach geht bei dieser Überlegung zu einseitig vor. Religion kann den Menschen vom Menschen entzweien, sie kann ihn aber auch erst zu den Menschen führen.

Den Punkt dass der Mensch sich Gott schafft um sein eigenes Leid zu überwinden finde ich durchaus nachvollziehbar. Aber ich sehe das eigentlich so wie du dass das nicht auf alle Menschen zutrifft. Das viele Menschen trotz Leid keinen Gott brauchen und viele sich sogar durch ihr Leid von Gott abwenden.

Wenn ich dich richtig verstanden habe kannst du dir gut vorstellen, dass Gott aus der Sehnsucht der Menschen projeziert wurde. Auch ich halte diese Überlegung für sinnvoll, aber auch die der Theologen, dass die Sehnsuch des Menschen nach Gott durch deren Erschaffung zu Gott hin erklärbar sei. Hat denn nicht jeder Mensch einmal in seinem Leben den Sehnsuch nach etwas höherem, etwas dass ihn beschüzt, dem er sich ganz anvertrauen kann?
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#4
(05-02-2010, 14:28)Gundi schrieb: Genau hier sehe ich das eigentliche Problem Feuerbachs. Die Frage ob es einen Gott gibt wird von ihm eigentlich gar nicht gestellt. Er geht von seiner Nichtexistenz aus um darauf aufbauend zu fragen "Warum schaffen wir uns einen Gott?". Ich denke wenn wir von der Nichtexistenz Gottes ausgehen, sind diese Überlegungen durchaus sinnvoll. Würden wir aber von der Existenz Gottes ausgehen wären sie seltsam

aber wieder: warum sollten wir von der existenz gottes ausgehen?

(oder der existenz von unsichtbaren grün-rosa ...)

empirisch beobachtbar ist ja nun mal bloß, daß menschen gottesbilder haben. über real existierende götter können wir (nach deinen eigenen worten) soweiso nichts sagen. als guter wissenschaftler beschäftigt sich feuerbach also erst mal mit dem real faßbaren - den gottesbildern. und fragt dann: wo kommen diese her?

(05-02-2010, 14:28)Gundi schrieb: Hat denn nicht jeder Mensch einmal in seinem Leben den Sehnsuch nach etwas höherem, etwas dass ihn beschüzt, dem er sich ganz anvertrauen kann?

ich denke ja

aber im zuge des erwachsenwerdens kommt man auch über diese enttäuschung hinweg, so wie ja viele pubertäre erwartungen (ewige liebe, vollkommene aufrichtigkeit,...) von der realität enttäuscht werden
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#5
(05-02-2010, 14:41)petronius schrieb: aber wieder: warum sollten wir von der existenz gottes ausgehen?

Ich denke wir sollten bei solchen Fragestellungen weder von seiner Existenz noch seiner Nichtexistenz ausgehen. Wir sollten seine Nichtexistenz aber nicht als Grundlage nehmen, da wir darüber nichts sagen können. Ich denke die Tatsache, dass die Menschen in der Geschichte immer schon gottesgläubig waren (was eventuell auch auf die Existenz Gottes begründet werden kann) darf nicht vernachlässigt werden.


(05-02-2010, 14:41)petronius schrieb: empirisch beobachtbar ist ja nun mal bloß, daß menschen gottesbilder haben. über real existierende götter können wir (nach deinen eigenen worten) soweiso nichts sagen. als guter wissenschaftler beschäftigt sich feuerbach also erst mal mit dem real faßbaren - den gottesbildern. und fragt dann: wo kommen diese her?

Hier stimme ich dir zu. Er geht von dem realen aus, dem Gottesbild. Seine Schlussfolgerung die er zieht, nämlich dass alles Projektion ist und der Mensch aus bestimmten Gründen projeziert, setzt aber schon die Nichtexistenz eines Gottes voraus. Hierüber aber kann Feuerbach keine Aussage treffen. Das was er beschreibt ist also eine schlüssige Überlegung unter der Annahme, dass Gott nicht existiert.
Du sagst er fragt: "Wo kommen diese her?". Die Theologie fragt auch so und gibt als Antwort, der Mensch sei auf Gott hin ausgerichtet. Sie tut das aber unter der Annahme Gott existiert.


(05-02-2010, 14:41)petronius schrieb:
(05-02-2010, 14:28)Gundi schrieb: Hat denn nicht jeder Mensch einmal in seinem Leben den Sehnsuch nach etwas höherem, etwas dass ihn beschüzt, dem er sich ganz anvertrauen kann?

ich denke ja

aber im zuge des erwachsenwerdens kommt man auch über diese enttäuschung hinweg, so wie ja viele pubertäre erwartungen (ewige liebe, vollkommene aufrichtigkeit,...) von der realität enttäuscht werden

Ich denke eigentlich nicht dass diese Sehnsucht mit der Pubertät verloren geht. Auch erwachsene Menschen fühlen so etwas von Zeit zu Teit denke ich z.B. wenn sie große Probleme haben. Und das andere pubertäre Erwartungen von der Realität enttäuscht wurden sehe ich auch nur teilweise so. Ich kenne viele gute Menschen die Eigenschaften haben die ich in meiner Pubertät, aber heute auch noch als richtig ansehe und anstrebenswert erachte. So gibt es Menschen die eher entäuschen und Menschen die einen die guten Werte nicht vergessen lassen. Würde daher eher von Differenzierung als von Enttäuschung sprechen.
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#6
(05-02-2010, 14:28)Gundi schrieb: Wenn ich mir aber unsere Welt anschaue habe ich nicht das Gefühl dass Atheisten menschlicher wären oder ein besseres Verhältnis zu anderen Menschen hätten. Aber sehr häufig kann ich sehen, dass Menschen aus religiösen Motiven heraus sich für andere aufopfern und dem Menschen viel näher sind als andere (bestes Beispiel Mutter Theresa) Natürlich ist das auch bei Atheisten der Fall. Ich denke daher Feuerbach geht bei dieser Überlegung zu einseitig vor. Religion kann den Menschen vom Menschen entzweien, sie kann ihn aber auch erst zu den Menschen führen.

Natürlich kann Religion manche Menschen in manchen Situtionen gesellschaftsdienlich agieren lassen, daran zweifel ich nicht. Das Mutter Theresa das beste Beispiel sein soll ist aber wohl zweifelhaft. Zum einen ist ihre Arbeit nicht unumstritten. Unterlassene Hilfeleistung wurde ihr häufiger vorgeworfen. "Ich glaube, das es eine sehr schöne Sache ist, wenn die Armen ihr Los akzeptieren, es mit dem Leid Christi teilen. Ich glaube, das Leid der armen Menschen ist eine große Hilfe für den Rest der Welt." bringt sicherlich ganz gut zum Ausdruck wieviel Hilfe man von einem solchen Glauben zu erwarten hat. Dass ihr Glaube nicht mal unerschütterlich war, sondern sie von vielen Zweifeln an der Existenz Gottes geplagt war, macht das ganze für mich umso erschreckender.

.en.wikipedia.org/wiki/Mother_Theresa#Declining_health_and_death (besonders der Abschnitt 'Spiritual life')
.heise.de/tp/r4/artikel/15/15888/1.html

sind dazu lesenswert.

Außerdem würde ich gerne noch anmerken, dass Menschen, die im sozialen Sektor arbeiten und dies zu meist nicht gerade angemessenen Konditionen, in Deutschland doch nahezu dazu gezwungen sind einer der beiden großen Kirchen anzugehören. Ansonsten sind ihre Arbeitsmarktchancen doch praktisch Null. Über den Glauben und die Motivation der Menschen sagt es erstmal gar nichts.
Thomas Paine: "As to the book called the bible, it is blasphemy to call it the Word of God. It is a book of lies and contradictions and a history of bad times and bad men."
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#7
Hallo Manuel,

das mit Mutter Theresa ist neu für mich. Wusste das bisher nicht.
Aber ich habe selbst in meinem persönlichen Umfeld erlebt das Gläubige vor allem durch ihren Glauben bereit waren zu helfen und für andere da zu sein.
Und ich kenne eben auch viele Atheisten die sehr Ich-bezogen sind.
Natürlich gibt es aber auch das Gegenteil.

Um beim Thema zu bleiben: Feuerbach ist der Ansicht das Nichtgläubige moralischer seien als Gläubige, da sie sich direkt auf den Menschen und nicht auf Gott beziehen. Die Geschichte lehrt uns aber dass sowohl von Gläubigen als auch von Atheisten schlimme Verbrechen begangen wurden.
Es gibt also keinen wirklichen Anhaltspunkt für seine These.
Oder doch?
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#8
(05-02-2010, 15:18)Gundi schrieb: Ich denke wir sollten bei solchen Fragestellungen weder von seiner Existenz noch seiner Nichtexistenz ausgehen. Wir sollten seine Nichtexistenz aber nicht als Grundlage nehmen, da wir darüber nichts sagen können

dasselbe gilt natürlich auch für die existenz

das einzige, worüber wir etwas sagen können, ist das gottesbild

und jenes leitet feuerbach ja her und kritisiert es

Zitat:Ich denke die Tatsache, dass die Menschen in der Geschichte immer schon gottesgläubig waren (was eventuell auch auf die Existenz Gottes begründet werden kann) darf nicht vernachlässigt werden

den schluß will ich nicht nachvollziehen. z.b. haben die menschen auch "immer schon" geglaubt, daß dürre und viehsterben von hexen verursacht wird. ich würde das aber nicht als indiz für die existenz böser zauberinnen anführen wollen

Zitat:Seine Schlussfolgerung die er zieht, nämlich dass alles Projektion ist und der Mensch aus bestimmten Gründen projeziert, setzt aber schon die Nichtexistenz eines Gottes voraus

ist das denn seine schlußfolgerung?

auch ich kenne feuerbach nicht. aber ich würde meinen, er versucht eine "natürliche" erklärung für das phänomen "gottesbild". und diese gelingt ihm auch. gemäß ockhams messer ist also die einführung eines tatsächlich existierenden gottes (weil redundant) "verboten"

Zitat:Hierüber aber kann Feuerbach keine Aussage treffen. Das was er beschreibt ist also eine schlüssige Überlegung unter der Annahme, dass Gott nicht existiert

so funktioniert die wissenschaftliche methode: keine überflüssigen annahmen treffen

Zitat:Du sagst er fragt: "Wo kommen diese her?". Die Theologie fragt auch so und gibt als Antwort, der Mensch sei auf Gott hin ausgerichtet. Sie tut das aber unter der Annahme Gott existiert

deshalb wird sie ja auch von so vielen nicht als wissenschaft ernst genommen.

Zitat:Ich denke eigentlich nicht dass diese Sehnsucht mit der Pubertät verloren geht

aus meiner erfahrung schon. viele junge menschen sind schwärmerisch gottesgläubig (war bei mir nicht anders9, was natürlich zum teil mit gruppendynamischen effekten zusammenhängt, z.t. aber wohl auch mit dieser illusionärensehnsucht, man möge - wie man es als kind gewöhnt war - von einer liebevollen autorität beschützt und gefördert

spätestens mit mitte 20 haben die menschen dann üblicherweise gelernt, sich nicht mehr in solche "kindlichkeitsfantasien" zu flüchten und selbst verantwortung für ihr leben zu übernehmen. von meinen ach so gläubigen jugendfreunden ist so gut wie keiner mehr wirklich gläubig

Zitat:Auch erwachsene Menschen fühlen so etwas von Zeit zu Teit denke ich z.B. wenn sie große Probleme haben

keine frage. klar hätte man gerne jemand, der einem die böse realität vom leibe hält
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#9
(05-02-2010, 15:53)Gundi schrieb: Um beim Thema zu bleiben: Feuerbach ist der Ansicht das Nichtgläubige moralischer seien als Gläubige, da sie sich direkt auf den Menschen und nicht auf Gott beziehen. Die Geschichte lehrt uns aber dass sowohl von Gläubigen als auch von Atheisten schlimme Verbrechen begangen wurden.
Es gibt also keinen wirklichen Anhaltspunkt für seine These.
Oder doch?

Feuerbach geht hier natürlich von seiner eigenen Moralvorstellung aus, die wohl am Wohl der Gemeinschaft orientiert war. Moral bezieht sich ja nun nicht nur auf die eigentliche sichtbare Aktion, sondern auch deren Motivation. Ein Gläubiger der anderen hilft, weil 'Gott es so will' aber auch sein Kind töten würde allein, wenn 'Gott es so will', handelt demnach weniger moralisch, als jemand sagt, diesem Menschen helfe ich nicht, denn sein Handeln hätte eine negative Auswirkung auf die Gesellschaft.
Thomas Paine: "As to the book called the bible, it is blasphemy to call it the Word of God. It is a book of lies and contradictions and a history of bad times and bad men."
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#10
(05-02-2010, 15:53)Gundi schrieb: das mit Mutter Theresa ist neu für mich. Wusste das bisher nicht

die kritik gibts schon länger: monde-diplomatique.de/pm/1996/11/15/a0280.text.name,askhJ8sdZ.n,43

oder, noch beeindruckender: .else-buschheuer.de/texte.php?id=16

(05-02-2010, 15:53)Gundi schrieb: Um beim Thema zu bleiben: Feuerbach ist der Ansicht das Nichtgläubige moralischer seien als Gläubige, da sie sich direkt auf den Menschen und nicht auf Gott beziehen. Die Geschichte lehrt uns aber dass sowohl von Gläubigen als auch von Atheisten schlimme Verbrechen begangen wurden.
Es gibt also keinen wirklichen Anhaltspunkt für seine These.
Oder doch?

geschmackssache. natürlich kann man es für "moralischer" halten, wenn jemand von alleine draufkommt, daß man den nachbarn nicht abmurksen soll, und sich das nicht erst von einem gott vorschreiben lassen muß. ist imho aber nicht von bedeutung
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
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#11
(05-02-2010, 14:28)Gundi schrieb: Hallo Hikikomori,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich werde mal versuchen einige Punkte aufzugreifen.
Du verweist auf die unterschiedlichen Fragen "Warum sind wir spirituell?" und "Gibt es einen Gott?". Genau hier sehe ich das eigentliche Problem Feuerbachs. Die Frage ob es einen Gott gibt wird von ihm eigentlich gar nicht gestellt. Er geht von seiner Nichtexistenz aus um darauf aufbauend zu fragen "Warum schaffen wir uns einen Gott?". Ich denke wenn wir von der Nichtexistenz Gottes ausgehen, sind diese Überlegungen durchaus sinnvoll. Würden wir aber von der Existenz Gottes ausgehen wären sie seltsam.

Du meinst Feuerbach rennt bei dir offene Türen ein, dass der Mensch dem Menschen selbst näher sein sollte Gott. Wenn ich mir aber unsere Welt anschaue habe ich nicht das Gefühl dass Atheisten menschlicher wären oder ein besseres Verhältnis zu anderen Menschen hätten. Aber sehr häufig kann ich sehen, dass Menschen aus religiösen Motiven heraus sich für andere aufopfern und dem Menschen viel näher sind als andere (bestes Beispiel Mutter Theresa) Natürlich ist das auch bei Atheisten der Fall. Ich denke daher Feuerbach geht bei dieser Überlegung zu einseitig vor. Religion kann den Menschen vom Menschen entzweien, sie kann ihn aber auch erst zu den Menschen führen.

Den Punkt dass der Mensch sich Gott schafft um sein eigenes Leid zu überwinden finde ich durchaus nachvollziehbar. Aber ich sehe das eigentlich so wie du dass das nicht auf alle Menschen zutrifft. Das viele Menschen trotz Leid keinen Gott brauchen und viele sich sogar durch ihr Leid von Gott abwenden.

Wenn ich dich richtig verstanden habe kannst du dir gut vorstellen, dass Gott aus der Sehnsucht der Menschen projeziert wurde. Auch ich halte diese Überlegung für sinnvoll, aber auch die der Theologen, dass die Sehnsuch des Menschen nach Gott durch deren Erschaffung zu Gott hin erklärbar sei. Hat denn nicht jeder Mensch einmal in seinem Leben den Sehnsuch nach etwas höherem, etwas dass ihn beschüzt, dem er sich ganz anvertrauen kann?


Petronius hat es bereits formuliert, aber lass es mich ebenfalls versuchen da ich fürchte daß der entscheidende Punkt von Dir nicht ganz verstanden wurde.

Ohne jetzt behaupten zu wollen daß Feuerbach für sich selbst nicht sehr wohl die Frage "Gott: Ja oder Nein?" beantwortet hat hat sie, zumindest soweit ich das aus Deiner Zusammenfassung ersehen kann, nicht das geringste mit der von ihm vorgebrachten These zu tun. Nur oberflächlich betrachtet ist das so, und nur von einem spirituell nach Erkenntnis sehnendem Standpunkt kann man das als ein Problem betrachten.

Es ist nicht das "...eigentliche Problem Feuerbachs. Die Frage ob es einen Gott gibt wird von ihm eigentlich gar nicht gestellt.[...]"
Es wäre in der Tat ein erkenntnistheoretisch-philosophischer Lapsus diese Frage zu stellen, ein Fehler den er vermeidet. Es wäre ein Problem wenn er überhaupt versuchen würde diese Frage zu beantworten. Deshalb sagte ich ja, die Frage "Gott: Ja oder Nein?" ist völlig unerheblich weil nicht beantwortbar, die Frage "Wieso sind wir spirituell und stellen uns eine solche Frage überhaupt?" ist sehr wohl beantwortbar, oder zumindest theoretisch beantwortbar ohne sich schon prinzipiell aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive lächerlich zu machen bevor man überhaupt angefangen hat.

Hier liegt ein erkenntnistheoretisches Problem vor das viele Menschen, sowohl Gläubige wie auch Atheisten, nicht zu erkennen vermögen. Unser Hausverstand, von dem ich im übrigen nicht viel halte, beantwortet eine gestellte Frage, auch wenn sie nicht beweisbar, ja nicht einmal belegbar ist gern nach indirekten Indizien und Wahrscheinlichkeiten, und stellt damit in diesem Fall eine Arbeitshypothese für ein nichtfalsifizierbares Postulat auf. Insofern ist es für die Gläubigen auch ein Dilemma, man kann zwar sagen "Gott existiert!" oder "Gott existiert nicht!", aber man kann weder das eine noch das andere beweisen. Was man aber sehr wohl tun kann ist in jedem "Gott existiert, weil..." das "weil" und das darauf folgende anzugreifen. Sowohl die Begründung selbst als auch schon die reine Möglichkeit einer Begründung kann erkenntnistheoretisch angegriffen werden.
So geschehen bei den unterschiedlichen Gottesbeweisen, bei dem Gefühl oder besser der Ahnung die von Kreationisten so oft bemüht wird daß die Natur zu schön sei als daß sie zufällig entstanden sein könnte. Undundund...
Die Wissenschaft und die Logik sind hier in der Lage für die Begründungen immer alternative Erklärungen oder zumindest in der Realität verwurzelte Erklärungsansätze zu bieten. Dabei wird aber nicht Gott belegt oder widerlegt, lediglich die scheinbaren Belege für seine Existenz die von Gläubigen vorgebracht werden werden widerlegt.
Mal mehr(Evolutionsbiologie), mal weniger schlüssig.(Paradoxon der Allmacht, der ersten Ursache, alternative Erklärungen für das Sehnen nach Gott, usw.)

Der Gläubige ist hierbei immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen, und damit konfrontiert das Gott unwahrscheinlicher geworden ist, falls seine Existenz für ihn auch auf Indizien beruhte die sich als Scheinargumente, Strohmänner oder als nur dem "gesunden Menschenverstand" vordergründig logisch und nachvollziehbare Argumente entpuppt haben.
Die meisten Atheisten haben dieses Problem nicht in diesem Ausmaß, da man für sich selbst entschieden hat daß Gottes Wahrscheinlichkeit so gering ist daß man es einerseits ablehnt darüber überhaupt "ernsthaft" zu diskutieren, es sei denn um eines Prüfsteins für die Argumente und des Verstandes wegen, und man andererseits weiß das man es nie wird beweisen oder zweifelsfrei widerlegen wird können und daher völlig vernachlässigbar ist. Das ist was petronius mit den "unsichtbaren rosa Elephanten" und der Unterscheidung zwischen Gottesbild und Gott unter anderem auszudrücken versucht.

Der Realität ausserhalb unserer Wahrnehmung ist Gott wurscht. Der Wissenschaft ist Gott wurscht. Der Logik ist Gott nur ein erkenntnistheoretisches Paradoxon unter vielen. Nur unserer Sehnsucht ist er nicht egal. Würde er es würde er tatsächlich aufhören zu "existieren".

Zur Frage der Moral war petronuis ebenfalls schon aktiv, ich sehe das wie er. Nicht was man tut bestimmt ob man moralisch ist oder nicht, warum man es tut ist wichtig für diese Einteilung. Dabei sollte man aber nicht vergessen daß zwar "Weil ich Leid lindern/verhindern möchte." eine moralischere Motivation ist als "Weil Gott es befiehlt/gern sieht.", aber auch beim ersteren fast immer ein klitzekleiner Egoismus hinter dem Altruismus steht, wenn nämlich die tiefere Begründung für altruistische Handlungen das eigene moralische Wohlgefühl ist, auch wenn man sich dessen vielleicht nicht bewußt ist oder es nur einen Teil der Wahrheit ausmacht.
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#12
Hallo Hikikomori,

sorry dass ich deinen Beitrag gesplittet habe (ich weiß du magst das eigentlich nicht) aber es ist so einfacher auf bestimmt Punkte einzugehen:

(05-02-2010, 18:26)Hikikomori schrieb: Ohne jetzt behaupten zu wollen daß Feuerbach für sich selbst nicht sehr wohl die Frage "Gott: Ja oder Nein?" beantwortet hat hat sie, zumindest soweit ich das aus Deiner Zusammenfassung ersehen kann, nicht das geringste mit der von ihm vorgebrachten These zu tun. Nur oberflächlich betrachtet ist das so, und nur von einem spirituell nach Erkenntnis sehnendem Standpunkt kann man das als ein Problem betrachten.

Es ist nicht das "...eigentliche Problem Feuerbachs. Die Frage ob es einen Gott gibt wird von ihm eigentlich gar nicht gestellt.[...]"
Es wäre in der Tat ein erkenntnistheoretisch-philosophischer Lapsus diese Frage zu stellen, ein Fehler den er vermeidet. Es wäre ein Problem wenn er überhaupt versuchen würde diese Frage zu beantworten. Deshalb sagte ich ja, die Frage "Gott: Ja oder Nein?" ist völlig unerheblich weil nicht beantwortbar, die Frage "Wieso sind wir spirituell und stellen uns eine solche Frage überhaupt?" ist sehr wohl beantwortbar, oder zumindest theoretisch beantwortbar ohne sich schon prinzipiell aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive lächerlich zu machen bevor man überhaupt angefangen hat.

Hier muss ich dir leider widersprechen. Um die Frage "Wieso sind wir spirituell" überhaupt beantworten zu können müssen wir uns mit der Frage "Gott: Ja oder Nein" befassen. Denn je nach dem wie wir uns hierbei entscheiden antworten wir auf die Frage. Jemand der die Frage nach Gott bejaht (Theologie) wird ganz andere Gründe für die Spiritualität vorbringen als jemand der die Frage nach Gott verneint (z.B. Feuerbach).
Wenn Feuerbach also sagt, Gott sei eine Projektion des Menschen, beruht dies auf der Annahme Gott existiert nicht. Der Mensch hat ihn sich in eigener Projektion geschaffen. Sagt die Theologie die Sehnsucht nach Gott beruht darauf, dass der Mensch zu Gott hin geschaffen wurde, stützt sie sich auf die Annahme Gott existiert. Wir gelangen also zu ganz verschiedenen Ergebnissen. Die Antwort auf die Frage "Warum sind wir spirituell" hängt also wesentlich davon ab wie wir uns bei der Frage "Gott: Ja oder Nein" entscheiden.

(05-02-2010, 18:26)Hikikomori schrieb: Hier liegt ein erkenntnistheoretisches Problem vor das viele Menschen, sowohl Gläubige wie auch Atheisten, nicht zu erkennen vermögen. Unser Hausverstand, von dem ich im übrigen nicht viel halte, beantwortet eine gestellte Frage, auch wenn sie nicht beweisbar, ja nicht einmal belegbar ist gern nach indirekten Indizien und Wahrscheinlichkeiten, und stellt damit in diesem Fall eine Arbeitshypothese für ein nichtfalsifizierbares Postulat auf. Insofern ist es für die Gläubigen auch ein Dilemma, man kann zwar sagen "Gott existiert!" oder "Gott existiert nicht!", aber man kann weder das eine noch das andere beweisen. Was man aber sehr wohl tun kann ist in jedem "Gott existiert, weil..." das "weil" und das darauf folgende anzugreifen. Sowohl die Begründung selbst als auch schon die reine Möglichkeit einer Begründung kann erkenntnistheoretisch angegriffen werden.
So geschehen bei den unterschiedlichen Gottesbeweisen, bei dem Gefühl oder besser der Ahnung die von Kreationisten so oft bemüht wird daß die Natur zu schön sei als daß sie zufällig entstanden sein könnte. Undundund...
Die Wissenschaft und die Logik sind hier in der Lage für die Begründungen immer alternative Erklärungen oder zumindest in der Realität verwurzelte Erklärungsansätze zu bieten. Dabei wird aber nicht Gott belegt oder widerlegt, lediglich die scheinbaren Belege für seine Existenz die von Gläubigen vorgebracht werden werden widerlegt.

Stimme dir vollkommen zu!

(05-02-2010, 18:26)Hikikomori schrieb: Die meisten Atheisten haben dieses Problem nicht in diesem Ausmaß, da man für sich selbst entschieden hat daß Gottes Wahrscheinlichkeit so gering ist daß man es einerseits ablehnt darüber überhaupt "ernsthaft" zu diskutieren, es sei denn um eines Prüfsteins für die Argumente und des Verstandes wegen, und man andererseits weiß das man es nie wird beweisen oder zweifelsfrei widerlegen wird können und daher völlig vernachlässigbar ist. Das ist was petronius mit den "unsichtbaren rosa Elephanten" und der Unterscheidung zwischen Gottesbild und Gott unter anderem auszudrücken versucht.

[quote='Hikikomori' pid='75315' dateline='1265387167']Der Realität ausserhalb unserer Wahrnehmung ist Gott wurscht. Der Wissenschaft ist Gott wurscht. Der Logik ist Gott nur ein erkenntnistheoretisches Paradoxon unter vielen. Nur unserer Sehnsucht ist er nicht egal. Würde er es würde er tatsächlich aufhören zu "existieren".

Wäre Gott unserer Sehnsucht egal würde er nur aufhören zu existieren, wenn er wirklich durch diese Sehnsucht projeziert worden wäre. Unter der Annahme das ein Gott aber außerhalb des Menschen existiert, wäre dieser auch da wenn er der Sehnsucht egal ist.

(05-02-2010, 18:26)Hikikomori schrieb: Zur Frage der Moral war petronuis ebenfalls schon aktiv, ich sehe das wie er. Nicht was man tut bestimmt ob man moralisch ist oder nicht, warum man es tut ist wichtig für diese Einteilung. Dabei sollte man aber nicht vergessen daß zwar "Weil ich Leid lindern/verhindern möchte." eine moralischere Motivation ist als "Weil Gott es befiehlt/gern sieht.", aber auch beim ersteren fast immer ein klitzekleiner Egoismus hinter dem Altruismus steht, wenn nämlich die tiefere Begründung für altruistische Handlungen das eigene moralische Wohlgefühl ist, auch wenn man sich dessen vielleicht nicht bewußt ist oder es nur einen Teil der Wahrheit ausmacht.

Ich gebe euch recht, dass nicht das was man tut bestimmt ob man moralisch handelt sondern warum man es tut.
Aber ich denke das Handeln gläubiger Menschen darauf zu beschränken weil Gott es ihnen befiehlt/gern sieht ist zu einfach. Gläubige können genauso wie Atheisten moralisch handeln weil sie Leid verhindern/lindern möchten. Ich denke dass schließt sich nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit ist doch diese Ansicht von Gott als Regelgeber, welcher genau sagt was man tun soll und was nicht eher untergeordnet.
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#13
(05-02-2010, 16:00)petronius schrieb: dasselbe gilt natürlich auch für die existenz

das einzige, worüber wir etwas sagen können, ist das gottesbild

und jenes leitet feuerbach ja her und kritisiert es

Ich stimme dir zu. Aber leitet Feuerbach das Gottesbild nicht unter einer Annahme her, bei der er keine Gewissheit haben kann? Nämlich das Gott nicht existiert. Wenn man davon ausgeht dass Gott nicht existiert dann machen seine Überlegungen durchaus Sinn, keine Frage.


(05-02-2010, 16:00)petronius schrieb: den schluß will ich nicht nachvollziehen. z.b. haben die menschen auch "immer schon" geglaubt, daß dürre und viehsterben von hexen verursacht wird. ich würde das aber nicht als indiz für die existenz böser zauberinnen anführen wollen

Der Glaube war für Menschen schon immer von großer Bedeutung, in jedem Kulturkreis. Und er ist es heute noch. Bei etwas das so wichtig für den Menschen ist, sollte man neben der Annahme das Gott nicht existiert eben auch die Möglichkeit im Auge behalten das er existiert. Einfach weil die Tatsache das der Mensch glaubt schon immer vorhanden war, dass es nie eine Kultur ohne Glauben gab.
Denn genauso wenig wie wir wissen, dass Religion nur eine Projektion ist, wissen wir auch nicht ob diese Sehnsucht nach Gott nicht durch Gott selbst gegeben ist (wie es die Theologie sagt und so versucht zu erklären weshalb es in jeder Kultur glauben gibt).



(05-02-2010, 16:00)petronius schrieb:
Zitat:Hierüber aber kann Feuerbach keine Aussage treffen. Das was er beschreibt ist also eine schlüssige Überlegung unter der Annahme, dass Gott nicht existiert

so funktioniert die wissenschaftliche methode: keine überflüssigen annahmen treffen

Aber das Gott nicht existiert ist doch auch nur eine Annahme. Oder siehst du das anders? Warum?

(05-02-2010, 16:00)petronius schrieb: spätestens mit mitte 20 haben die menschen dann üblicherweise gelernt, sich nicht mehr in solche "kindlichkeitsfantasien" zu flüchten und selbst verantwortung für ihr leben zu übernehmen. von meinen ach so gläubigen jugendfreunden ist so gut wie keiner mehr wirklich gläubig

Tja, bei mir war das anders. War bis Anfang 20 überzeugter Atheist und bin dann erst gläubig geworden. Und ich denke mit "Kindlichkeitsfantasien" hatte das nix zu tun.
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#14
(05-02-2010, 20:29)Gundi schrieb: Hallo Hikikomori,

sorry dass ich deinen Beitrag gesplittet habe (ich weiß du magst das eigentlich nicht) aber es ist so einfacher auf bestimmt Punkte einzugehen:
[...]


Es ist nicht ganz richtig, ich mag es nicht wenn sich eine Diskussion, unabhängig davon ob es ein Gespräch zwischen mir und jemand anderem oder zwischen zwei oder mehr anderen Menschen ist, zu sehr aufsplittert und im Extremfall in einzelne Sätze fragmentiert wird. Das macht es einfach schwerer für mich dem eigentlichen Sinn oder Ziel zu folgen oder beides zu erfassen.
Eine Rücksichtnahme Deinerseits ist zwar sehr nett, aber laß Dich bitte davon nicht daran hindern Beiträge von mir in einzelne Themenabschnitte aufzuteilen. Das ist einerseits kein Problem und ich werde sowieso versuchen wieder zusammenhängend zu antworten und damit hoffentlich vermeiden daß beide Parteien (unbewußt) immer weiter fragmentieren bis zu einem Punkt an dem es unangenehm wird. Trotzdem Danke.



Du hast weiter unten in Deinem Beitrag auf einige Unterlassungsfehler und Ungenauigkeiten meinerseits hingewiesen, darauf möchte ich zuerst eingehen bevor ich mich dem eigentlichen Punkt widme an dem wir unterschiedlicher Ansicht zu sein scheinen.

Du hast völlig recht, würde Gott tatsächlich ausserhalb unserer Wahrnehmungswelt existieren würde er nicht aufhören zu existieren wenn unsere Sehnsucht nach ihm verschwände. Deshalb schrieb ich existieren ja unter Anführungszeichen, da ich es eher ironisch oder metaphorisch verstanden wissen wollte.
Aber würde Gott aus unseren Sehnsüchten verschwinden würde er in unserer Wahrnehmungswelt nach und nach ebenfalls verschwinden, bis im Extremfall kein Mensch mit dem Begriff Gott mehr wirklich etwas anfangen könnte, es sei denn im historischen Kontext, als ein Konzept das absolut seltsam wirken müßte.

Und auch mit Deiner Kritik an meinen Ausführungen zu Moral hast Du recht, Gläubige Menschen handeln natürlich nicht immer und ausschließlich nach Gottes postuliertem Willen, und manche, wie "die Atheisten" hier in Disputen über die Moral nicht müde werden zu betonen, sogar nicht einmal wirklich nach moralischen Gottesgeboten, selbst wenn sie das manchmal glauben.
In Diskussionen über Ethik kommt das immer wieder zum Vorschein, wenn Gläubige eine gottgebene Moral oder ein Fundament dafür annehmen wird dagegengehalten daß viele "gute" Atheisten nach denselben Regeln entscheiden wie sie sich verhalten sollten, und damit sowie mit evoltionspsychologischen und sozialen Argumenten das Postulat Moral wäre göttlich von sich weisen. Und die logische Umkehr davon lautet natürlich auch das Atheisten moralisch schlecht sein können. Lediglich über eine relative Gewichtung läßt sich hier ernsthaft diskutieren, und diese Gewichtung hängt natürlich stark davon ab ob man zum Vergleich nachdenkliche Gläubige wie Ekkard, der sich einmal als christlichen Agnostiker bezeichnete, heranzieht und als Maßstab nimmt oder ob man sich ungebildete verarmte Menschen aussucht die Religion nicht einmal als ein potentiell gefährliches System der Lenkung wahrnehmen, geschweige denn seine Funktionsweise und die menschliche Psychologie ansatzweise verstehen, geschweige denn sich den Luxus erlauben können in ihrer harschen Umwelt zu moralisch zu sein.
Nur leider spricht natürlich für Feuerbachs Argument alleine schon die Tatsache daß die verarmten und ungebildeten Menschen auf unserer Welt immer noch die Mehrheit stellen, was aber für die Frage welche Menschen moralischer sind die gleiche Bewandnis haben dürfte wie die Tatsache daß Afrikaner in früheren Jahrhunderten sehr ungebildet waren dafür sprach daß sie genetisch minderwertig seien. Nämlich gar nicht beziehungsweise nur vordergründig scheinbar. Was einen sonst so intelligenten Menschen wie zum Beispiel Schopenhauer der diesem Argument seiner Zeit auch aufgesessen war in dieser Frage zu einem Dummkopf macht der Bildung mit Intelligenz verwechselt oder zumindest glaubt von ersterem auf letzteres schließen zu dürfen. Gut daß er kein erkenntnistheoretischer Philosoph war.



Nun möchte ich auf Deine Kritik an meinen anfänglichen Ausführungen eingehen, Spiritualität und Gott.
Man darf als Autor natürlich zuallererst einmal sein Publikum und ihre Lebenswelt nicht aus den Augen verlieren, und man ist auch nicht in der Lage seine eigene abzulegen. Insofern ist die Frage "Spiritualität: Warum?" nur vordergründig eine Frage die mit Gott zusammenhängen muß. Gott ist aber nur ein Aspekt und eine Manifestation von Spiritualität, auch polytheistische Weltbilder und Naturreligionen mit ihren von Geistern beseelten Tieren, Pflanzen und Umgebung sind mögliche Ausdrücke dieses Bedürfnisses. Genauso wie die Frage Schicksal oder Zufall.
Vermutlich hat Feuerbach also bei der Konzeption und Ausarbeitung seiner Thesen nicht nur seine erlernten und möglicherweise verworfenen Ansichten und die seiner Landsleute und Zeitgenossen im Blick gehabt, das eine als bewußte oder unbewußte (teilweise) Einschränkung der eigenen Perspektive und das andere als erfolgversprechende Basis für seine Argumentation und ihrer Ausrichtung, sondern auch die von Dir als korrekt akzeptierte Barriere der Erkenntnis.

Man könnte also sagen, wenn man mir die ungeschickte Metapher gestattet, er verhielt sich vielleicht wie ein Spieler beim Schach, er wußte daß man den König nicht schlagen kann, und hat ihn deshalb einfach nur einer seiner, aus Feuerbachs und meiner Sicht, letzten Figuren beraubt und den König damit ins Schach gesetzt. Natürlich hat er dabei die Figur angegriffen die sich tatsächlich auf dem Spielfeld befand und nicht eine die darauf sein könnte.
Man könnte aber den König natürlich auch Quargsjr nennen und anders formen, es würde aber nichts ändern.
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#15
(05-02-2010, 20:53)Gundi schrieb:
(05-02-2010, 16:00)petronius schrieb: dasselbe gilt natürlich auch für die existenz

das einzige, worüber wir etwas sagen können, ist das gottesbild

und jenes leitet feuerbach ja her und kritisiert es

Ich stimme dir zu. Aber leitet Feuerbach das Gottesbild nicht unter einer Annahme her, bei der er keine Gewissheit haben kann? Nämlich das Gott nicht existiert

nein - zumindest sehe ich die wissenschaftliche methode so:

ich entwerfe eine hypothese, die ohne nicht falsifizierbare axiome auskommt, um das phänomen gottesbild zu beschreiben. erweist sich diese beschreibung als "empirisch" zuverlässig, erübrigt sich die dann redundante annahme einer nicht falsifizierbaren gottesexistenz

gott mag ja vielleicht existieren - aber diese existenz spielt für die erklärung des phänomens gottesbild keine notwendige rolle, also hilft uns dieses phänomen auch nicht bei einer entscheidung über die frage, ob gott existiert

das war jetzt aber nicht unbedingt feuerbach, sondern meine privatmeinung

(05-02-2010, 20:53)Gundi schrieb: Bei etwas das so wichtig für den Menschen ist, sollte man neben der Annahme das Gott nicht existiert eben auch die Möglichkeit im Auge behalten das er existiert. Einfach weil die Tatsache das der Mensch glaubt schon immer vorhanden war, dass es nie eine Kultur ohne Glauben gab

sorry, aber da kann ich dir immer noch nicht folgen

non sequitur!

die denkmöglichkeit "gott" kann a priori nicht ausgeschlossen werden. die praktische möglichkeit einer über das jeweil projizierte gottesbild hinausgehende realen existenz von "gott" aber eben nicht zwingend daraus abgeleitet werden, daß schon immer menschen von dieser existenz überzeugt waren. diese frage bleibt nach wie vor offen

Zitat:Denn genauso wenig wie wir wissen, dass Religion nur eine Projektion ist, wissen wir auch nicht ob diese Sehnsucht nach Gott nicht durch Gott selbst gegeben ist (wie es die Theologie sagt und so versucht zu erklären weshalb es in jeder Kultur glauben gibt)

so ist es - wir wissen es nicht. exakt darauf läßt sich alles reden über "gott" eindampfen

Zitat:Aber das Gott nicht existiert ist doch auch nur eine Annahme. Oder siehst du das anders? Warum?

daß gott nicht existiert, ist aber nicht die annahme, die getroffen wird. sie ist nicht notwendig und eben auch methodisch unsauber, weil sie per se nicht falsifizierbar ist (denkt man "gott" als allmächtig, wie es bei einem schöpfer wohl anzunehmen ist, und keinerlei regeln der logik oder naturgesetzen unterworfen). so läßt man diesen aspekt außen vor und schaut, ob man auch so zu einer hypothese kommt, die das phänomen gottesbild zutreffend beschreibt
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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